Forum Übersicht - Unter der Stadt » Gefangen

Im Nachtwind weht eine Haarsträhne, regungslos steht die Gestalt, die nach Süden blickt, heimwärts, nach Vorovis. Nur noch über den Großen Fluß, dann ist er zu Hause! Erschöpft, ausgepumpt vom Marsch durch den Dschungel, ausgehungert und fiebrig, bloß der Starrsinn hält ihn noch auf den Beinen. Er weiß, daß er ein Relikt einer Zeit ist, die abgelaufen ist, ein Überbleibsel einer Welt, die buchstäblich untergegangen war, das Echo längst verhallten Marschtritts, ein Schatten eines Schattens in der schwarzen Uniform einer in Blut erstickten Ära, der Kommandant eines Geisterheeres und einer Flotte die auf dem Grund des Metcha ruhte, ein einziger Anachronismus. Hier oben auf einem noch intakten Teil der Stadtmauer der zerstörten Doppelstadt am Großen Fluß gauckelt ihm Erschöpfung und Fieber Bilder der Heimat vor. Er spürt das Pflaster des Volksplatzes unter seinen Stiefeln, seine Hand streift über eine Mauer aus dem schwarzen Stein und ein Lächeln liegt auf seinem Gesicht, in dem die Strapazen tiefe Linien hinterlassen haben. Seine Erinnerung werden lebendig und füllen den weiten Platz mit Schemen der Vergangenheit. Lange steht er da und trinkt aus diesem Becher, hört sich längst verhallte Worte sagen, sieht die Flammen lodern, die den Scheiterhaufen und die Toten des Putsches verzehren, hört das dumpfe Pochen der großen Pauken. Hier hatte er gestanden, hatte einen Sturm entfesselt und ihn wieder gebändigt. Hier war ein neues Vorovis Wirklichkeit geworden nur um kaum ein Jahr später unterzugehen. Es fröstelt ihn und er macht ein paar Schritte auf den Platz hinaus. Ein Knirschen und ein Stein löst unter seinem Stiefel sich aus dem bröckeligen Mauerrand. Als er die Balance verliert verwehen die Schemen. Er versucht sich noch zu halten, als er von der Mauer stürzt, doch vergebens. Ein paar Vat tiefer kracht sein Kopf auf einen gezackten Mauerbrocken. Schmerz, ein gleißendes Licht und dann Schwärze.

Keuchend fährt der Schläfer aus seinem Traum auf und es dauert einen Moment, bis er sich seiner Umgebung gewahr wird. Seine Hände zittern leicht, als er sich durchs offene halblange Haar fährt, denn er weiß, er hat seinen Tod geträumt. Er erinnert sich an alles in seinem neuen Körper. An seine Zeit in Esticha, in Vorovis, sein Ende und an die Monate in der Stadt an der Oberfläche. Er weiß, daß er die Zeit in der Stadt nicht in seinem Körper verbracht hat. Man hatte es ihm zwar erklärt, doch ganz versteht er es immer noch nicht. Aber er weiß, daß diese Tage kein Traumgespinnst oder Illusion gewesen sind und darüber hinaus ist er jetzt über jeden Zweifel hinaus überzeugt, daß die Worte der Offenbarung Wahrheit sind. „Ihr werdet leben auf immerdar“: steht es geschreiben und hier ist er, gestorben und in einem neuen Körper wieder auferstanden. Er steht von seinem Bett auf und geht hinüber zu dem Wasserspender und löscht seinen Durst. Zu oft hat er die Hand unter den Auslauf gehalten und das Wasser war ohne sein Zutun geflossen, als das er sich noch darüber wundert. Seine Zelle, in man ihn geperrt hat, nach dem er mit der Enjinia verhaftet worden war, als sie die Wächterdrohne unter ihre Kontrolle gebracht hatten, läßt keinen Luxus vermissen. Man hatte ihn weder verhört noch befragt, ihn einfach eingesperrt und sich selbst überlassen. Essen wurde ihm von einer der kahlköpfigen Servs gebracht, die nicht auf die Versuche sie in ein Gespräch zu verwickeln reagierte und damit ist er mit seinen Gedanken alleine. Vieles sieht er nach seiner Wiedererweckung in einem anderen Licht, doch eines hat sich nicht verändert. Seine tiefe Liebe und überwältigende Sehnsucht nach Eris, der Frau, die mit ihm die Geistesverschmelzung eingegangen war. Sie ist ein Leuchtturm in seiner Seele, alle Gedanken, jede Regung streben zu ihr. Ihretwegen hatte er zugestimmt, bei dem neuerlichen Anlauf mitzuwirken Shanee an die alleinige Macht zu bringen. Vorovis hatte zwar eine Rolle gespielt in seinen Überlegungen, aber er hat es getan um Eris wiederzusehen. Die Vertraute der Transzendierten hatte ihm versichert, daß sie zwar gefangen aber in Sicherheit ist und er sie wiedersehen würde, sobald der Umsturz geglückt war. Er versteht nicht viel von der überwältigenden Technik, die so sinnverwirrend ist, das es sogar ihm oft genug wie Magie erscheint. Aber es ist ganz offensichtlich, daß sich die Planer verrechneten hatten, denn kaum hatte er sich mit seinem Landsmann in Verbindung gesetzt waren sie auch schon verhaftet worden. Es ist nicht absehbar, welche Strafe ihn erwart, aber er ist entschlossen sie auf sich zu nehmen, Eris wegen. Nur der Gedanke, sie mit einem Angriff auf die Hüter zu gefährden, läßt ihn vor jedem Widerstand zurück schrecken. Einige Augenblicke geht er in seiner Zelle auf und ab, doch dann setzt er sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden und öffnet sein Innerstes wieder seiner Göttin. Er bittet nicht für sich, er bittet um ihren Segen und ihren Schutz für Ishikawa Erji, die Eris genannt wird.