Forum Übersicht - Unter der Stadt » Zwischen Tag und Nacht

Verwundert zieht die Chira eine Augenbraue hoch als sie das in gedämpftes Licht getauchte, private Refugium ihres alten Freundes betritt, der es sich in einem der Polsterstühle bequem gemacht hat, ein bauchiges Glas in der Hand und die Flasche alten Brandtweines in Reichweite. „Komme ich ungelegen?“: erkundigt sich die Chira, die an der Zimmertüre stehen geblieben ist. „Nein, du kommst nicht ungelegen. Nimm dir ein Glas und setzt dich.“: antwortet Mikhail verhalten. Schweigend setzt sich die Chira auf als sich Mikhail vorbeugt um ihr Glas zu füllen, zeichnen die Schatten die tiefen Linien in seinem Gesicht noch deutlicher als sonst. Er hebt sein Glas in die Richtung der Chira und nimmt einen kleinen Schluck bevor er das Kristallglas wieder auf den Beistelltisch setzt. „Melancholisch heute?“: erkundigt sich die Chira nachdem sie selbst einen Schluck genossen hat. Mikhail zuckt mit den Achseln. „Eher nachdenklich.“: antwortet er ruhig. Die Chira gibt sich im Moment mit der Antwort zufrieden und drängt nicht. Sie kennt ihr Gegenüber lange genug um zu wissen, daß sie damit nichts erreichen würde. Stattdessen schwenkt sie den alten Brandwein in ihrem Glas und wärmt ihn an um noch einen genießerischen Schluck zu nehmen. „Ich habe heute Eris zu mir kommen lassen.“: sagt der Erste Hüter nach einer kleinen Weile. „Sie hält mich immer noch für einen eiskalten Menschenfresser.“: setzt er mit einem kleinen Lächeln hinzu.

„Du hast dir auch die letzten Jahrzehnte redlich Mühe gegeben deinen Ruf zu kultivieren.“: entgegnet die Chira mit feiner Ironie.
Leise lacht Mihail auf. „Vielleicht sollte ich damit anfangen mich zu fragen ob ich damit nicht ein wenig zu erfolgreich gewesen bin.“
Trotzdem sie sich sicher ist, daß dies kein Routinevorgang gewesen sein kann, legt sie ihrer Neugierde Zügel an und fragt nicht weiter nach. Dann wechselt der Erste Hüter scheinbar das Thema.
„Wir haben gestern den Inkarnierten der mich ersetzen sollte wieder verhaftet.“ Er schildert in knappen Worten den Vorfall. „Eine reine Trotzreaktion der Transzendierten Shanee! Sie kann nicht ernsthaft gelaubt haben, daß diese völlig konfuse und sinnlose Aktion auch nur die geringste Chance auf Erfolg haben konnte. Die Hohepriesterin tobt und will Köpfe rollen sehen.“ Mikhail greift nach seinem Glas. „Vor allem die von Ishikawa Erji, dem Inkarnierten der sich Hel nennt und der Enjinia die bei der Übernahme der Drone geholfen hat.“
Nachdenklich sieht die Chira über den Rand ihres Glases hinweg ihren alten Freund an.
„Was wirst du tun?“: erkundigt sie sich nach einer kleinen Weile.
„Ich denke nicht daran, so kurz vor der Ankunft der Botin irgendwelche Exekutionen durchführen zu lassen, besonders diese nicht.“: sagt Mikhail mit Nachdruck. „Wenn es der Wille der Göttin ist, werde ich keinen Augenblick lang zögern, aber nur dann.“
„Mikahil du weißt wie ich über diese Hohepriesterin denke, aber sie ist die Hohepriesterin. Bedenke das!“: warnt die Chira besorgt.
„Ich weiß, Thika. Aber ich bin für die Sicherheit des Metatorion und des gesammten Komplexes verantwortlich. Es ist meine Pflicht das Komplott in allen seinen Aspekten zu untersuchen. Dazu sind neuerliche Verhöre notwendig um auch die Letzten uns noch unbekannten Mittäter zu entlarven und weitere Vorfälle mit absoluter Sicherheit zu unterbinden.“: entgegnet Mikhail. Das breite Grinsen das nur Wenige je zu Gesicht bekommen haben, konterkariert seinen fast schon pathetischen Tonfall. Auch die Chira kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Übertreib es nur nicht.“: antwortet sie ihm. Sie trinkt einen Schluck von ihrem Brandtwein. „Was hast du mit den Beiden gemacht?“: fragt sie mit gespielter Beiläufigkeit, ihrer Neugierde nun doch nachgebend.

„Ich habe Eris zu ihm bringen lassen. Die Beiden sind auf eine Art verbunden die einen eifersüchtig machen kann und es ist vielleicht ihre letzte Nacht.“: sagt er nach einer kleinen Pause. Verblüfft sieht ihn die Chira an. Es dauert ein wenig bis sie die Sprache wieder findet. „Du bist ein Romantiker, Mikhail!“: sagt sie staunend. „Und du hast es all die Jahre gut versteckt.“ Der Erste Hüter zuckt mit den Achseln.
„Sind wir das nicht alle im Grunde unserer Herzen, Thika? Diese Sehnsucht nach Verbundenheit nagt die nicht uns allen? Diese Beiden sind auf eine Art verbunden, die wir nur schwach erahnen können. Sie sind zwei Mal eine Geistesverschmelzung eingegangen, sie waren auf eine Art nackt voreinander, die für uns nicht nachvollziehbar ist. Sie haben ihre innersten Gedanken und Gefühle voreinander ausgebreitet, alle ihre Schwächen und Fehler und sind eins geworden.“ Mikhail trinkt einen Schluck. „Ich beneide die Beiden.“: sagt er dann leise. Für lange Augenblicke herrscht Stille, dann erhebt sich die Chira. Sie beugt sich hinab zu Mikhal und legt ihm eine Pfote in den Nacken. Für einen Moment kann er sanft ihre Krallen spüren. Mit der anderen Pfote greift sie nach seiner Hand und zieht ihn hoch. Ihre Stimme hat einen rauchigen Klang, als sie leise zu ihm sagt: „Komm Mikhail, wir haben es schon lange nicht mehr miteinander getrieben.“ Der Erste Hüter wehrt sich nicht, als sie ihn sanft hinunter auf den Boden zieht.

Für einen langen Moment ist der Erste Hüter versucht das Summen des Interkoms einfach zu ignorieren. Die wohlige Mattigkeit, der Duft von Thikas Fell und die Wärme ihres Körpers hüllen ihn ein wie ein Kokon aus Trost und Zufriedenheit den er einfach nicht sprengen will. Doch mit einem Seufzer setzt er sich schließlich doch auf. Es muß etwas Dringliches sein, sonst würde man ihn nicht um diese Zeit in seinem Quartier behelligen. „Entschuldige.“: sagt er leise und streicht der Chira in einer zärtlichen Geste übers Fell. Dann erhebt er sich und geht nackt wie er ist in den angrenzenden Raum, der ihm als privater Arbeitsraum dient. Es dauert nur ein paar Augenblicke bis Mikhail zurück ist. Der Ausdruck seines Gesichtes ist ernst. „Zieh dich an Thika, wir müssen sofort los. Die Botin wird in knapp einer Jhane hier eintreffen, nicht erst Morgen. Es muß etwas Außergwöhnliches geschehen sein. “ Mikhail versucht gar nicht erst seine Besorgnis vor der Chira zu verbergen, während er seine auf dem Boden verstreute Kleidung einsammelt und sich anzieht. „Ich hoffe nur daß es keine negative Überraschung ist.“: sagt Mikhail und schließt seine Uniform. Er stellt sich auf die Zehenspitzen und gibt der Chira einen flüchtigen Kuß. „Ich muß los. Wir sehen uns in der Torhalle.“