Forum Übersicht - Das Spiel - abgeschlossene Threads » Ein schwerer Gang

Lang hat Vella mit sich gerungen. Aber dann macht sie sich auf den Weg. Sie hat keine Ruhe mehr. Sie trägt wieder den Strohhut, gegen die Sonne. Wählt den längeren Weg zwischen den Bäumen. Wegen dem Schatten und weil sie noch etwas Zeit hat. Als sie das weiße Haus zwischen den Bäumen sieht, bleibt sie stehen. Überlegt nochmals. Die panische Angst hat sie nicht mehr. Die ist im letzten Gespräch mit Hel vergangen. Aber sie hat immer noch ein ziemlich mulmiges Gefühl. Aber das was sie bedrückt, muss sie ihm sagen. Also geht sie weiter. Vor den Stufen hinauf bleibt sie stehen. Sie muss sich überwinden, aber dann fragt sie laut: „Hel, bist du da?“

Völlig konzentriert ist Hel dabei seine Klingen zu schleifen und zu polieren. Flache Steine mit verschiedener Körnung, ein Schälchen Wasser und ein paar Lappen sind auf dem Tisch verteilt an dem er sitzt. Besonders die asnivalaähnliche Langwaffe hat es ihm angetan. Die Qualität des Stahls war unglaublich. Er kann keine der feinen Linien erkennen, die durch das Falten des Metalls entstehen, so sehr er sich auch anstrengt. Entweder das Material war sehr oft gefaltet worden, was einen extremen Aufwand mit sich brachte, oder er blickte auf den homogenen Stahl nach dem MilWis so lange geforscht hatte. Er ist so versunken in seine Tätigkeit, daß er ihre Annäherung nicht merkt. Erst als sie nach ihm ruft, wird er aufmerksam. Er erkannt sofort ihre Stimme, die er auch unter dutzenden anderen Stimmen erkannt hätte. Völlig überrascht erhebt er sich und sieht sie an der Treppe stehen. Sie sieht nervös aus und vielleicht auch bedrückt, aber die furchtbare Angst ist nicht mehr in ihrem Blick. Es ist ihm als wäre ihm mit einem Mal eine schwere Last von den Schultern genommen.
„Das ist wirklich eine Überraschung. Es ist schön dich zu sehen, Vella. Bitte, komm doch herauf.“

Langsam kommt Vella die Stufen hinauf. Sie bleibt auf der Veranda stehen. Sie fühlt sich unbehaglich. Sie schaut zu ihm und es gibt ihr einen Stich. Mit dem nachwachsenden Bart schaut er so aus wie sie ihn in Erinnerung hat. Aus Esticha, bevor die Inquisition gekommen ist. Es war die glückliche Zeit gewesen. Sie versucht ihre Hände still zu halten. Aber die haben ein Eigenleben.
Streichen über ihren Rock, zupfen an den Falten. Sie senkt den Kopf. Versucht die Bilder aus ihrem Kopf zu verbannen. Es hilft nicht viel. Dann gibt sie sich einen Schubbs.
„Ich möchte mit dir reden Hel. Hast du Zeit?“
Halb und halb hofft sie das er nein sagt.

Für einen langen Moment kommt die Zeit aus dem Tritt, als Vella vor ihm steht. So hat er sie in seiner Erinnerung bewahrt. Es ist ihm als wäre es erst vor ein paar Tagen gewesen, als sie sich so gegenüber gestanden hatten. Bitter und süß bricht es in ihm auf, quält ihn und macht in froh. Ihre Augen sind wie dunkle Deiche, die ihn anziehen und locken. Erst als sie den Kopf senkt und die Krempe ihres Strohhuts ihre Augen bedeckt, bricht der Zauber. Er räuspert sich.
„So viel Zeit wie du willst, Vella. Warte bitte einen Moment. Ich räume nur schnell den Tisch ab.“
Er ist immer noch vorsichtig. Um sie nicht zu erschrecken, trägt er die Waffen hinüber auf die Bank und legt sie dort außer Reichweite ab. Dann geht er langsam wieder zurück zu Vella. Er bleibt ein paar Schritt vor ihr stehen.
„Setz dich doch bitte. Kann ich dir etwas anbieten? Wasser? Wein?“

Sie schaut ihm zu, wie er die Waffen wegräumt. Es berührt sie, wie vorsichtig er ist. Er tut es wegen ihr, daß weiß sie. Sie schaut ihn wieder als er zu ihr kommt. So vertraut sind seine Augen jetzt. Sie leben, haben Wärme. „Danke Hel, ich bleib nicht lange.“ Dann nimmt sie den Hut ab und setzt sich.
Sie legt ihn ihren Schoß. Hält ihn mit beiden Händen. „Setzt dich, ich mag nicht zu dir hinauf schauen.“: sagt sie leise. Sie schaut auf ihren Hut.
„Ich hab lang nachgedacht. Über das was du mir gesagt hast. Es ist nicht leicht, aber ich muß es dir sagen. Hel, ich hab dir in manchen Unrecht getan.“
Sie hebt die Hand. Will jeden Einwand fort wischen.
„Bitte sag jetzt nichts. Laß mich reden. Ich hab geglaubt du bist schuld, das Khaled tot ist. Ich hab geglaubt, daß du dich frei gekauft hast. Ich hab geglaubt du betest immer noch zu deiner Hexengöttin. Ich hab dich deswegen gehaßt. Das ist wahr. Ich hab dich gehaßt. Aber ich kann dich nicht mehr hassen. Ich will es auch nicht mehr. Du hast deine Freunde wegen mir...“
Sie stockt. Kämpft mit den Tränen. Leise redet sie weiter.
„Aber du hast soviel kaputt gemacht, Hel. Soviel.“
Jetzt schaut sie ihn wieder an.
„Du weißt es. Ich sehs an deinen Augen. Aber es ist zu spät. Viel zu spät. Das was wir gehabt haben, ist nicht mehr da. Kommt nicht mehr zurück. Ich will dich nicht mehr hassen. Ich will dich nicht mehr fürchten. Aber laß mir Zeit. Vielleicht können wir irgendwann Freunde sein. Aber jetzt tut es zu weh. Ich habs nicht gewollt. Das weißt du. Ich hätte dir alles gegeben. Aber du hast es nicht haben wollen. Jetzt kann ichs dir nicht mehr geben.“
Sie steht langsam auf.
„Ich wollte das du das weißt. Ich geh jetzt. Nicht, sag nichs, bitte. Später, Hel, später.“
Sie dreht sich um. Geht die Stufen hinunter. Sie dreht sich nicht mehr um. Dann verschwindet sie zwischen den Bäumen.

Wie vom Donner gerührt sitzt Hel da und hört Vella zu. Es hätte ihrer abwehrenden Geste gar nicht bedurft, mit der sie seine Einwände im Keim ersticken will, denn er weiß ohnehin nicht, was er ihr hätte sagen können. Zuerst ist nur Erleichterung und fast Freude, die ihn überkommt, als sie ihm erklärt, daß ihn nicht mehr hassen kann. Nicht seinetwegen, ihretwegen. Er hatte mit dem Wissen, von ihr gehaßt und verabscheut zu werden, ein dutzend und vielleicht mehr Jahre gelebt. Es war zu einer Tatsache seines Lebens geworden, die die Zeit so tief einzementiert hatte, daß sie unwandelbar schien. In dem Moment, als Vella sie einreißt, versteht er, das sie auch eine Barriere gewesen war, die Vella aus seinen Gedanken und Gefühlen fern gehalten hatte. Was sie sagt schmerzt, die Erinnerungen schmerzen und er kann nichts dagegen tun. Er steht mit ihr auf, will ihr etwas sagen, damit sie bleibt, nur noch einen Moment, doch seine Lippen sind versiegelt. Er sieht ihr nach wie die einst so vertraute, zierliche Gestalt zwischen den Bäumen verschwindet, seine Erinnerung schlägt über ihm zusammen und ihm wird bewußt, was er mit ihr verloren hat.