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Die Schatten sind schon lang, als Vella aufbricht. In ihrem Korb hat sie zwei Töpfe mit ihrem Eintopf. Oben auf liegt ein frisches Brot, das noch warm ist. Ihr langes dunkles Haar trägt sie heut offen. Ihren Strohhut hat sie zu Haus gelassen. Am Hafen rastet sie ein bisschen und füttert mit ein paar Brotkrummen die Möven. Lachend schaut sie zu wie die Möven in der Luft sich die Brotstückchen abjagen. Dann geht sie weiter. Sie nimmt den längeren Weg zwischen den Bäumen. Vorbei an Ataerics Haus geht sie auf Hels weißes Haus mit der großen Veranda zu. Sie hat keine Scheu mehr und steigt die paar Stufen auf die Veranda hinauf. Sie stellt ihren Korb auf einen Tisch. Dann ruft sie: "Hel! Bist du zu Haus?"

"Ich komme gleich, nur einen Moment noch.": ertönt es aus dem inneren des Hauses, dann hört Vella Glas splittern und einen herzhaften Fluch. Wenig später erscheint Hel auf der Veranda.
"Schön ich zu sehen, Vella.": strahlt er sie an. "Das offene Haar steht dir enorm gut." Für einen langen Moment kann er sich nicht von ihrem Anblick loßreißen, doch dann besinnt er sich auf die Pflichten eines Gastgebers. Er räumt ein paar Bücher vom Tisch und stellt die leere Flaschen auf den Boden. Er achtet zwar auf Sauberkeit, aber es herrscht wie immer ein gewisses Durcheinander auf der Veranda. "Setz dich doch. Viel habe ich nicht im Haus, aber Tee oder Wein kann ich dir anbieten. Das Trockenbrot erwähne ich besser nicht, ich will mich nicht von dir schlagen lassen.":schmunzelt er.

Lachend setzt sich Vella. „Behalt dir dein Trockenbrot. Ich hab dir was mitgebracht.“ Sie stellt einen Topf mit Bohneneintopf auf den Tisch und legt das frische Brot dazu. „Laß es dir schmecken. Wenn du Hunger hast, greif zu. Wir können auch beim Essen reden.“ Sie streicht sich das Haar zurück. „Wie geht’s dir, Hel? Ist alles in Ordnung mit dir? Ich hab die letzte Zeit oft an dich gedacht.“ Sie schaut ihn mit einem Lächeln an. „Es gibt viel über das wir reden sollten. Aber heut bin ich wegen etwas Anderem da. Ataeric war bei mir. Er wollte von mir schwimmen lernen. Ausgerechnet von mir. Wir sind ins Reden gekommen. Er ist gar kein so übler Kerl, wie es zum Anfang ausgeschaut hat. Ein bisschen seltsam, aber das sind wir doch alle. Einer so der Andere so. Er hat mir erzählt, daß ihr vom Metcha Felder gesehen habt. Ich will mir das gern anschauen. Ataeric will auch mit. Was ist mit dir? Gehst du mit?“

Hels Augen werden groß, als Vella Topf auf den Tisch stellt und ihm der Duft des frischen Brotes in die Nase steigt. "Wenn ich das gewußt hätte! Ich habe mir vor einer halben Jhane eine Ration Zwieback und Trockenfleisch verabreicht. Danke, Vella! Vielen Dank, aber dieses Festmahl erfordert ungeteilte Aufmerksamkeit." Dann kann er aber dem Duft des Brotes nicht widerstehen und schneidet sich mit seinem Dolch, den er auch in seinem Heim ständig trägt, ein Stück ab. Aber ihre Worte lassen ihn auf das Brot vergessen. Überrascht sieht er sie an. Es dauert einen Moment bis sich die Freude einen Weg in sein Gesicht bahnt. "Ich denke auch oft an dich.": sagt er leise und fast so als ob er Angst hätte schon zuviel gesagt zu haben, setzt er hastig nach. "Mir geht es ganz gut. Zeit zu haben ist für mich immer noch so ungewohnt, daß ich es genieße." Sein Lächeln wird breiter. "Wann immer du willst, Vella." Erst als sie von Ataeric spricht, bricht er einen Bissen Brot ab und kaut genüßlich. "Ja, warum nicht, Aber wir müssen nicht durchs Gelände laufen, wir können auch ein Boot nehmen."

"Das schaut dir wieder ähnlich. Nur keinen Schritt zuviel.": sagt sie mit ein bisschen Ironie in der Stimme. "Schon gar nicht wenn du aufs Wasser hinaus kannst." Schmunzelnd schaut sie ihn an.
"Ich hab nichts dagegen mit dem Boot zu fahren. Aber wärs nicht gescheiter wir gehen? Wer weiß was wir unterwegs alles entdecken. Ich glaub so weit war noch niemand weg von der Stadt." Ihre dunklen Augen mustern das vertraute Gesicht. Es ist wirklich etwas anders geworden. Offener, nicht so kalt und abweisend und seine Augen strahlen. "Schön das du an mich denkst.": sagt sie voll Wärme. Aber dann nimmt sie sich zusammen. Sie ist sich immer noch nicht sicher und wechselt das Thema. "Ataeric will Vorräte anlegen. Obst einkochen und Fleisch haltbar machen. Ich werde ihm dabei helfen. Willst du dir nicht auch ein paar Vorräte zulegen? Dann gehts in einem Aufwaschen und zu Dritt gehts auch schneller." Fragend schaut sie ihn an.

„Gegen ein paar Stunden auf dem Metcha hätte ich wirklich nichts einzuwenden.“: antwortet er schmunzelnd. „Aber du hast Recht, wer weiß was wir auf dem Weg entdecken. Irgendwo muß ja der Rum herkommen, den ich mir aus den Häusern hole.“ Er zwinkert ihr scherzhaft zu. Ihre nächsten, schlichten Worte berühren ihn tief in seinem Inneren. Aber er versteht das Zeichen, als sie schnell das Thema wechselt und beläßt es dabei. „Vorräte? Obst wächst hier genug, wozu es mit Zucker verkochen? Ich mach mir nichts aus Süßigkeiten. Fleisch wäre schon interessanter, aber wo es her nehmen? Ich bin kein Jäger. Zumindest keiner der hinter Viehzeugs her ist. Aber wenn du Hilfe brauchst, helfe ich dir gern.“

Sie schüttelt den Kopf. „Rum! Ist das alles was dir einfällt?“: sagt sie schnippisch lächelt aber dabei. Sie ist ihm dankbar, daß er keine Worte über ihre Bemerkung verliert. Wieder hat sie das Gefühl, daß sie dem Hel gegenüber sitzt, den sie geliebt hat. Im Moment erinnert sie nichts mehr an den eiskalten Prokurator. Aber sie weiß, daß der auch ein Teil von ihm ist. Doch jetzt will sie nicht daran denken. „Hilfe kann ich schon brauchen.“: lächelt sie ihn an. „Aber nicht das du mir aus dem Obst Schnaps brennst. Rede dich doch mit Ataeric zusammen. Der hat mir erzählt, daß er jagen geht.“ Sie schaut ihm direkt in die Augen. „Weil ich gerade von ihm rede. Was hältst du von ihm?“

„Keine Angst, Vella. Solange ich nur einen Keller ausräumen muß um an etwas zu trinken zu kommen, ist dein Obst außer Gefahr. Versuchen könnte ich es und mit ihm auf die Jagd gehen. Mehr als das mir Ataeric seine Ateva um die Ohren schlägt, weil ich ihm das Wild verscheuche, kann mir nicht zustoßen.“ Für einen Moment überdenkt Hel ihre Frage, nicht um sich etwas zurecht zu legen, sondern um ihr eine möglichst umfassende Antwort zu geben. „Ich habe schon einiges mit ihm zusammen unternommen. Desto länger ich ihn kenne, umso mehr schätze ich ihn. Er ist zuverlässig, geradlinig, von einer erstaunlichen Zähigkeit, unbeirrbar wenn er sich etwas vornimmt, genau und bleibt auch in heiklen Situationen immer gelassen. Er ist der Einzige hier, dich ausgenommen, dem ich weiter traue, als ich ein Roputan werfen kann. Zugegeben manchmal kann er einen auf die Palme treiben, mit seiner Angewohnheit alles wörtlich zu nehmen und in seiner Direktheit ist er so sensibel wie eine Lastechse. Aber das stört mich nicht. Mir ist es wesentlich lieber, es sagt einem jemand die Dinge so wie er sie sieht ins Gesicht, statt herum zu schleimen. Als Kämpfer ist er sicher ein sehr harter Brocken, ernstlich möchte ich nicht mit ihm aneinander geraten, wenn es irgendwie vermeidbar ist. Im Ernstfall wiegt er sicher den Rest auf, der außer uns noch hier lebt.“

"Wenn du das sagst, dann glaub ichs dir auch. Aber sei trotzdem vorsichtig. Dagon hast du auch vertraut und er hat dich verraten." Mit Schaudern erinnert sie sich an den Riesen mit der Axt. Ataeric war da ganz anders. Aber trotzdem, Vorsicht schadet nicht. Sie wechselt das Thema. "Dann bist du morgen mit dabei? Auf dem Rückweg schau ich noch bei Ataeric vorbei. Ich hab ihm versprochen das er etwas von dem Eintopf zum Kosten kriegt. Stell dir vor, er will besser kochen lernen. Er hat mir sogar geholfen. Dann sag ich ihm, daß du morgen mitgehst. Ist dir doch Recht?"

Hels Gesicht verdüstert sich, als Vella Dagon erwähnt. "Ich hoffe er friert sich den Arsch im kältesten Winkel der Eisfelder ab! Ich weiß bis heute nicht, warum er mich an die verdammte Inquisition verkauft hat. So dumm war er doch nicht, daß er glauben konnte, mit diesen fanatischen Schindern einen Handel abschließen. Zuerst rettet er mir das Leben und dann verkauft er mich für ein paar Dublonen." Er schüttelt den Kopf. "Irrsinnig, völlig irrsinnig. Aber Ataeric ist nicht Dagon, Vella, und die Situation ist eine völlig andere, also mach dir keine Sorgen. Ja, ich weiß das er kocht, er hat mich sogar schon zum Frühstück bewirtet. War gar nicht schlecht. Ja, du kannst ihm sagen das ich morgen dabei bin."

"Ich hab ihn nie ausstehen können. Ich will jetzt nicht sagen, daß ich es gewußt hab, aber getraut hab ich ihm nie.": sagt sie voll Ablehnung. "Aber auch wenn du recht hast, sei vorsichtig Hel. Ich will dich nicht noch einmal verlieren." Erst als sie es ausgesprochen hat, merkt sie was sie gesagt hat. Aber es ist schon zu spät, es ist ihr einfach heraus gerutscht. Aber es ist wahr. Das will sie gar nicht verleugnen, deshalb versucht sie gar nciht, es irgendwie abzuschwächen. "Schön das du mitgehst. Ich sags ihm und jetzt mach mich auf den Weg, sonst wird das Essen kalt." Sie steht auf und wartet bis er auch steht. Dann streicht sie sanft über seine Wange. "Bis morgen Hel und laß die Finger von der Rumflasche. Ich habe keine Lust mir morgen dein verkatertes Gemurre anzuhören." Sie sagt es mit einem Lächeln. Von den Stufen winkt sie ihm noch einmal zu, bevor sie auf das Nachbarhaus zugeht.

Zum Strandschuhs nebenan sind es nur wenige Schritte die Vella an einen grünen Streifen vorbeiführen, der die beiden Häuser voneinander trennt. Anders als bei Hel führt kein ausgetretener Pfad durch Grünzeug zu dem Haus, liegt die Veranda direkt dem Sand auf und ist für vorbeigehende Spaziergänger gut einzusehen. Bis auf den Blondschopf der auf der großzügigen Terrasse sitzt weist nichts darauf hin, dass dieses Haus bewohnt ist. Die hellen Holzplanken sind sauber und der beständig von Sanikas Atem hinein wehende Sand von den hellen Holzplanken frisch hinaus gefegt. Die Möbilierung ist denkbar einfach, mehr als einen Tisch samt zwei Bänke zusätzlich zum Herd an der Rückwand, einer kleinen Arbeitsplatte und der einfachen Rundholzleiter die zur Schlafnische führt steht das kleine Haus leer. Dekor sucht man hier ebenfalls vergeblich, wenn man von einem Nagel in einem Holzbalken, an dem der Waffengurt hängt und dem Regal mit den Küchenutensilien absieht. Eine kleine, vielleicht dreißig Clat große dunkle Echse mit glänzenden Schuppen stobt davon als Vella auf das Haus zugeht und der Hüne schaut von seinem Buch hoch. Die Bank auf der er sitzt strahlt trotz der hellen, dünnen Polster wenig Gemütlichkeit aus, auf dem Tisch vor ihm – eine kleinere Ausgabe von dem der im Haus steht – stehen ein Krug und ein Becher. Der Krieger beschattet die Hand mit den Augen und legt einen schmalen Lederriemen zwischen die Seiten, ehe er das Buch auf dem Tisch beiseite legt und grüßend die Hand hebt. Kurz zögert er, wohl darüber nachdenkend ob er die zierliche Frau einfach in die Küche schickt, damit sie sich dort das nehmen kann was sie haben will, doch dann hebt er die Schultern und steht auf. „ Ich mach uns einen Tee“, bestimmt er und wendet ihr den Rücken zu, noch bevor sie einen Fuß auf die Veranda gesetzt hat.

Ihr Schritt stockt als die schwarze, kleine Echse flüchtet. Ein bißchen erschreckt schaut sie ihr nach. Dann geht sie weiter. Als Ataeric den Kopf hebt, winkt sie ihm zu. Ihr dunkles Haar ist offen. Jetzt kann man deutlich sehen wie lang es ist. Es reicht ihr fast bis zur Hüfte. „Sichara.“: sagt sie freundlich schon auf den Stufen. Neugierig schaut sie sich um. Als sie auf die Veranda steigt, ist der Krieger schon in der Küche. Sie stellt den Korb ab und wartet.

Das Wasser ist schnell aufgesetzt. so dass Vella nicht lange warten muß bis der Krieger ihr bereits wieder entgegen kommt. Das Himmelsfeuer ist längst nicht so kräftig wie noch wenige Jhane zurvor, doch die Veranda ist kaum überdacht und bietet wenig Schutz vor dem Licht. Ataeric hat schon oft beobachten können, dass es Vella vermeidet, sich in der direkten Sonne aufzuhalten weshalb er direkt anbietet:" Draußen oder Drinnen?"
Je nachdem wofür die zierliche Frau sich entscheidet werden auf dem entsprechenden Tisch zwei saubere Becher abgestellt und nach kurzem Zögern eine Schale mit geknackten Nüssen. Offensichtlich ist der Hüne lernfähig was das Ambiente der Gastfreundschaft betrifft.

Vella wär lieber draußen geblieben. Doch das Himmelslicht scheint direkt auf die Veranda. So entscheidet sie sich für Drinnen. „Besser wir setzen uns hinein.“: sagt sie. Bevor sie sich an den Küchentisch setzt, nimmt sie einen Topf aus dem Korb. „Wie versprochen der Eintopf. Heiß ist er zwar nicht mehr, aber noch ein bißchen warm.“ Sie stellt den Topf auf den Tisch und setzt sich.
„Danke“: sagt sie als er die Nüsse hinstellt. Sie bedient sich. Während Ataeric den Tee aufsetzt, schaut sie sich ein bißchen um. Sein Heim ist wie er. Schmucklos, ohne Schnörkel, ohne unnötigen Kram, zweckbestimmt und klar strukturiert. Trotzdem fehlt etwas. Während sie noch überlegt, kommt Ataeric mit dem Tee.