Forum Übersicht - RE: Nachtlager - 2

Schon liegt ihm eine ärgerliche Antwort auf der Zunge, doch dann beherrscht er sich. Eifersuchtstreiterein sind genau die Dreingabe, die ihm in dieser Situation noch fehlen. Es ist ihm noch nicht nach Schlafen, so geht er leise die Treppe hoch und trägt sich einen Stuhl auf den Balkon. Er setzt sich, sieht den schimmernden Nachtseidenvögel zu und läßt seine Gedanken treiben. Wenn die Ketzerin wirklich die Wahrheit gesagt hatte, dann löst sich ein Gutteil seiner Sorgen und seines Kummers in Nichts auf. Vorovis lebt! Es änderte zwar nichts an der Tatsache, daß seine Familie mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit ausgelöscht worden war, da sie in einem der Offiziersquartiere in der Hafenkaserne gelebt hatte. Doch hier auf diesem Balkon im Irgendwo verschließt er sich der Wahrheit nicht mehr. Seine Frau war ihm fremd gewesen. Seine arrangierte Heirat hatte beiden Familien gedient, nach seinen Wünschen hatte niemand gefragt. Anders als bei seinen beiden Kindern ging ihm ihr Tod nicht wirklich nahe, stellt er verblüfft fest. Trauer war in ihrem Fall eher eine Sache des Anstands und der Traditionen als des Herzens. Er fühlt sich besser, nachdem er sich diese Wahrheit eingestanden hat. Ein Geräusch läßt ihn hellhörig werden, aber es war höchstwahrscheinlich die Ketzerin unter ihm, die ein Möbelstück ein wenig verrückt hatte. Er gähnt herzhaft und beschließt sich auch schlafen zu legen. So leise wie er gekommen ist, steigt er die Treppe hinab und breitet seine Decke unweit der schlafenden Ira aus. Auf dem Fußboden zu liegen stört ihn nicht, er ist harte Lager gewöhnt. Als er die Augen schließt, richtet er ein kurzes Gebet an Hostinos und ist in kurzer Zeit eingeschlafen.

Der Tanz der Nachtseidenvögel endet irgendwann. Dann wird es ruhig in dem Garten. Sehr ruhig sogar. War ihre Angst am Ende komplett unbegründet? Sind sie am Ende in einem kleinen Paradies gelandet, wo es wirklich keinerlei Bedrohung gibt? Nicht, dass Sundara irgendetwas dagegen hätte - wenn es ihr im Moment auch sehr sonderbar vorkommen würde, nach all den Jahren im Krieg, wo man sich im Endeffekt nie sicher ist, den nächsten Morgen zu erleben.

Die Lampe, die ihr als Zeichen ihres Schichtendes gilt, hat Sundara schon vor geraumer Zeit in den Raum hinter sich verräumt und gut verstellt. Zu auffällig erscheint ihr ein Licht in der Dunkelheit, besonders als die Nachtseidenvögel ihr eigenes Licht verlöscht haben. Sie versucht leise zu sein, aber wohl nicht leise genug für Keresin. Gut, sie hält es ja auch nicht für notwendig, dass die Hausinsassen sie nicht hören sollten. Jedenfalls sagt ihr inzwischen ihr Gefühl, dass die Zeit um sein sollte, die sie zu wachen hat. Noch einmal schweift ihr Blick aufmerksam über den Garten. Sie spitzt noch einmal ordentlich die Ohren. Es ist ruhig, keine Gefahr droht. Sie huscht ins Haus, schaut auf die Lampe. Sie ist aus. Sie nimmt die Lampe und schleicht in die Küche. Schnell haben sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt, wenigstens so weit, Ira und Keresin im Dunkeln zu erkennen und auch zu unterscheiden. Sie streicht sachte über Iras Arm.

Sie ist irgendwo im Grenzland zwischen Schlaf und Wachsein. Hat einen Fuß schon dort wo der Schlaf anfängt. Sie greift nach der Hand die sie sanft brührt. Drückt sie zart für einen Moment. Dann wacht sie ganz auf. So schnell als wärs ein heißes Eisen läßt sie Sundaras Hand los. Leise steht sie auf. Nickt der Elurierin zu. Dann bückt sie sich nochmals und holt das Messer aus der Tasche. Sie will Keresin nicht aufwecken. „Schlaf gut.“: flüstert sie Sundara zu. Leise geht sie hinaus auf die Veranda. Setzt sich hinter den Tisch. Sie kommt sich trotzdem vor wie eine Zielscheibe. Die Geräusche der Nacht machen sie nervös. Sie ist den Klang der Stadt gewohnt. Das hier macht sie unsicher. Bei jedem etwas lauteren Geräusch zuckt sie zusammen. Sie haßt diese einsamen Nachtwachen. Aber sie wird nicht unaufmerksam. Wachen haben das Leben ihrer Kameraden in den Händen! Kaum etwas ist härter bestraft worden als Wachvergehen. Ira steht auf. Geht ein paar Schritte hin und her um die Müdigkeit zu vertreiben. Dann setzt sie sich und starrt wieder in die Dunkelheit.

Sundara legt sich nicht nieder. Ebenso leise wie sie gekommen ist, folgt sie Ira zurück auf die Veranda. Sie hockt sich einen Augenblick neben Ira, schaut sie an.

"Wenn du willst, lass ich dir meinen Bogen da," sagt sie leise. "Oder ich lege mich da gleich hinter Tür aufs Ohr. Es ist immer angenehm, etwaige Gegner schon aus der Entfernung unter Beschuss zu nehmen."

Es hat nicht den Eindruck, als würde sie eine bestimmte Antwort erwarten. Es klingt eben wie ein Angebot einer Hilfestellung, das angenommen oder auch abgelehnt werden kann, wie immer es einem eben beliebt. Während Sundara auf die Antwort wartet, streifen ihre Augen wieder über den ruhigen Rand des Gartens.

"Es war übrigens während meiner Schicht sehr, sehr ruhig," sagt sie dann. Eben Wachübergabe, so wie Sundara es während ihrer Zeit im Dschungel gelernt hat. "Also wirklich gar nichts, das irgendwie Aufmerksamkeit verdient hätte."

Ira erwidert ihren Blick. Es ist ihr immer noch peinlich, daß sie die Hand der Elurierin gehalten hat. Aber Ira hört ihr zu. Dann schüttelt sie leicht den Kopf. „Hat nicht viel Sinn. Ich kann mit dem Bogen nicht umgehen. Ich bin an der Armbrust ausgebildet worden. Bogenschießen das war nur was für Offiziere und Typen mit genug Dublonen. Eine Art Sport.“: sagt sie leise. „Besser du legst dich gleich hinter die Tür. Ich weck dich wenn irgendwas abgeht.“ Sie hocht wieder hinaus in die Dunkelheit. „Ruhig sagst du? Ein Scheißlärm ist das. Mitten in der Nacht. Nicht zu glauben.“: antwortet sie mißmutig. Die Geräusche der Nachttiere machen sie unruhig. Vobra ist altes Kulturland. Bauernhöfe und Felder, kein Dschungel voll mit nachtaktiven Biestern. Außerdem ist sie gut wie nie aus der Stadt heraus gekommen. Außer die Strafversetzung nach Ziost. Aber das war auch kein Ausflug in die Natur. „Du kannst dich ruhig hinlegen. Ich paß schon auf.“: sagt sie leise zu Sundara.

Sundara nickt wortlos. Sie steht wieder auf und betritt den Raum hinter der Veranda. Dann schnallt sie erst mal ihre Waffengurte ab, den Bogenköcher. Den Pfeilköcher lässt sie am Bein. Der Bogen wird in Griffweite gelegt, sie legt sich bäuchlings hin. Eine Hand umfasst das Kurzschwert, der andere Arm rutscht unter den Kopf. Eine Sekunden liegt Sundara regungslos. Dann blickt sie wieder auf. Sie nimmt die Asnivala, legt sie ganz nahe an ihren Körper, sodass die Scheide unter ihren Oberschenkel ragt. Dann legt sie den Kopf wieder auf ihren Arm. Sie lauscht noch eine Weile den Geräuschen der Tiere vor der geöffneten Tür. Kein plötzliches Aufschrecken der Vögel, kein Traben eines größeren Tieres, eben nichts, das auf eine größere Bedrohung schließen würde. Und so dauert es gar nicht lange, da ist Sundara auch schon im Land der Träume. Es sind wilde Träume, Träume von mordenden Sragon, die zu Scharen aus Ruinen hervorkommen. Plötzlich steht ein Sragon vor ihr, sein Gesicht verändert sich, und plötzlich steht Bokh vor ihr. "Sie ist keine Heldin, sie ist keine Heldin!"

Ein zweites Gesicht erscheint, es ist das der Ira Verra. "Pfählt sie! Pfählt sie! Sie ist eine Ketzerin!"

Dann sieht sie Chelia, auf einem Pfahl sitzend. Sie lächelt, während der Pfahl immer tiefer in sie eindringt. Sie lächelt, während Sragon ihr die Eingeweide herausreißen. Bokh und Ira brechen in lautes Gelächter aus. Sundara erwacht schweißgebadet. Verwirtt sieht sie sich um. Sie holt ihr Rauchzeug hervor, setzt sich in eine Ecke. Sie raucht. Dann legt sie sich wieder hin. Nun schläft sie einen traumlosen Schlaf.

Auch Keresin träumt. Die Yedeiten kämpfen tapfer, aber sie sind miserabel ausgebildet und können die Formation nicht halten. Wieder muß er zurückweichen und den angreifenden Sragon Raum geben um nicht in die Zange genommen zu werden. Noch nie ist er solchen Gegner gegenüber gestanden. Die enorme Kraft dieser Sragons macht ihre Keulen zu absolut tödlichen Waffen. Diese Hiebe sind kaum zu parieren. Treffen sie brechen im günstigsten Fall Knochen. Wieder treibt Keresin einer der Echsen die Klinge in die Eingeweide, dreht sie in der Wunde, reißt sie zurück und schlägt zu. Er blutet aus einer Wunde an der linken Schulter, die ihm die Klauen eines Sragons gerissen haben, sein Waffenarm ist fast taub und sein ganzer Körper zittert vor Erschöpfung. Dann stolpert er über eine Leiche. Unaufhaltsam kommt die Keule auf ihn zu, dann ein greller Lichtblitz und nichts mehr. Keuchend fährt Keresin hoch, rollt sich instinktiv zur Seite, bevor er realisiert, daß er geträumt hat. Er ist am ganzen Körper schweißnaß und zittert. Keresin zwingt sich tief und langsam einzuatmen, immer wieder, bis er den Schock des Albtraumes überwunden hat. Er fährt sich mit beiden Händen durchs Haar. Der Realismus dieses Traumes ist beängstigend gewesen. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, so erhebt sich Keresin und geht leise an der schlafenden Sundara vorbei auf die Veranda. Er beugt sich zu Ira. „War etwas?“: erkundigt er sich leise. „Leg dich hin, ich übernehme.“: setzt er dann hinzu.

Ira schüttelt den Kopf. „Außer eine Menge Lärm von dem Viehzeugs war nichts.“: sagt sie leise und gähnt. Der Schlafmangel macht sich jetzt bemerkbar. So protestiert sie auch nicht als Keresin sagt, daß er die Wache übernimmt. Sie sieht das Keresin schwitzt. Aber sie macht sich keine Gedanken. Es ist immer noch recht warm. Besonders für Vorovisianer. Sie steht auf und streckt sich. „Danke das du mich so zeitig ablöst.“: sagte sie und lächelt. Dann dreht sie sich um und geht leise in die Küche. Sie legt ihr Messer unter die Tasche. Dann legt sie sich hin. Sie schiebt sich die Tasche unter den Kopf und macht die Augen zu. Bald ist sie tief und fest eingeschlafen.

Die Stunden verrinnen, und schließlich schickt sich der Sonnenring an, der Röhre seine Gunst der Helligkeit zu schenken. Es bedarf nur der Dämmerung, um Sundara wieder aus ihrem Schlaf zu holen. Es ist ihr Kopf, der zuerst ein Zeichen des Lebens von sich gibt, indem er sich von einer Seite zur anderen dreht, schließlich hebt und die blau-grünen Augen die Umgebung mustern lässt. Die Hand umfasst das Kurzschwert für einen Moment fester, und schließlich sind es die Beine, die sich anziehen und schließlich die junge Frau in eine knieende Haltung schieben. Einen Augenblick später steht sie auch schon. Die Waffengurte werden angelegt, der Bogenköcher übergestreift, der Bogen verstaut. Dann tritt sie in die Tür. Sie streckt sich ausgiebig, bevor ein freundliches "Guten Morgen!" in Richtung des wachhabenden Keresin ertönt. Sie tritt vor, kurz berührt ihre Hand freundschaftlich ihre Schulter. Dann setzt sie sich ungefähr eineinhalt Vat von ihm entfernt hinter den Tisch. Ihr Blick schweift über den dämmrig-blau-grau erscheinenden Garten. Nicht, dass sie irgendetwas zu entdecken erhofft, das sie nicht schon entdeckt hätte. Es ist vielmehr ein Begrüßen der Umgebung, des neuen Tages, ein Ritual, ohne jeglichen Sinn und doch so vieler Menschen eigen. Ihre Hand fährt zu ihrem Rauchzeug, und wenig später brennt auch schon eine Zigarette in ihrem Mund. Sie blickt zu Keresin.

"War irgendetwas Auffälliges?" fragt sie dann unvermittelt.

Im Gegensatz zu vielen seiner Kameraden hat Keresin das Wachschieben nie wirklich gehaßt. Manchmal war es gut Zeit ausschließlich für sich selbst zu haben. Nachdenken beeinträchtigte seine Aufmerksamkeit nicht. So hatte er auch in den vergangnen Stunden über Vieles nachgedacht. Er hört Sundara schon einige Zeit bevor sie auf die Veranda tritt. Er wendet sich zu ihr und erwidert leise ihren Morgengruß. Ihre Berührung nimmt er ohne erkennbare Reaktion hin. Als sich Sundara ihre Zigarette anzündet, rückt er ein wenig zur Seite um dem Rauch zu entgehen. Auf ihre Frage schüttelt er den Kopf. „Nichts. Für einen Augenblick glaubte ich da drüben ein Licht zu sehen, aber das war wohl nur einer dieser seltsamen Vögel.“ Er deutet vage in die Richtung der niedrigen Mauer die den Garten auf der anderen Seite zur Straße hin abgrenzt, streckt sich und steht dann auf.
„Nicht das ich darüber böse wäre.“: sagt er und schmunzelt.

Einen Augenblick lang schmunzelt Sundara, dann wird sie wieder ernst.

"Du wirst mich jetzt auslachen, aber mir kam auch vor, als hätte ich ein Licht bemerkt, eigenartig blau," sagt sie dann. "Ich bin jedenfalls aufgewacht, aber kaum war ich wieder wach, war es wieder weg. Ich dachte es sei ein Traum gewesen."

Sie zieht noch einmal an ihrer Zigarette. "Auch in meiner Schicht war es absolut ruhig. Einige kleine Tiere haben wohl ihr Leben gelassen, aber das ist wohl der Lauf der Dinge, den Mehdora so vorgesehen hat."

Sie steht auf. Während sie noch mit der linken Hand die Zigarette hält, springt sie mit der rechten an einen Dachbalken. Kaum mehr als ihre Fingerkuppen finden auf dem Balken und unter den Ziegeln Platz. Als ob es nichts Weiteres wäre, macht sie fünfzehn oder auch zwanzig Klimmzüge, mit einer Hand, und braucht kaum eine Minute dafür. Freilich zieht sich dabei das Hemd in die Höhe, und durch das schief abgetrennte untere Ende geschieht dies beinahe in unziemlichem Rahmen. Nun, dass Sundaras Bauch nicht gerade unansehnlich ist, das wird Keresin wohl eh inzwischen gesehen haben - und, um ehrlich zu sein, mehr sieht er dann auch nicht. Sie springt dann wieder zu Boden, zieht sie wieder an der Zigarette. Fast ist diese aufgeraucht, also schnippt sie sie auf die Wiese vor der Veranda.

"Jedenfalls habe ich mich schon fast gefragt," sagt sie dann, während sie sich wieder zu Keresin setzt, "ob wir nicht doch am Ende an einem absolut friedlichen Ort gelandet sind. Nicht, dass ich deshalb nicht so schnell wie möglich hier wegkommen möchte."

Sie sieht den Vorovisen kurz an, schaut dann über den Garten. Ihr Blick bleibt an einem Baum hängen, auf dem einige reife, wohlbekannte Früchte hängen.

"Lust auf eine Majhera?" sagt sie dann und schaut Keresin aus ihren großen, unwiderstehlichen, blau-grünen Augen an. "Viel mehr gibt es hier wohl nicht zum Frühstück..."

„Warum sollte ich euch auslachen? Bei dem was hier nächtens leuchten herumfliegt, kann man leicht Lichter sehen.“ Keresin gähnt nochmals. „Was die Tiere betrifft, war es durchaus lebhaft. In der Hinsicht kann man gar nicht mehr von Stadt reden. Hier geht es zu wie im Dschungel.“ Erstaunt zieht er eine Augenbraue hoch, als Sundara in die Höhe springt auf dem dem Dachbalken ihre Klimmzüge macht. Interessiert schaut er ihr zu und ein kleines Lächeln stiehlt sich auf seine Gesichtszüge. „Nicht schlecht. Macht ihr das immer nach dem Aufstehen oder nur wenn euch jemand zusieht?“: erkundigt er sich ironisch. Seiner Ironie fehlt jedoch jede Schärfe. „Friedlich? Auf den ersten Blick sieht es zumindest so aus. Doch wieso warnt der Wirt dann vor der Dunkelheit und diesen...Mist, ich kann mich nicht an den Namen erinnern? Wie alles was mit diesem Mra Aggar verfluchten Stadt zu tun hat ein verdammtes Rätsel. Außerdem hat einmal ein weiser Mann gesagt das man nichts und niemanden mehr mißtrauen soll als der Idylle und idyllisch ist dieser Ort.“ Keresin ertappt sich dabei das er wieder einmal eine halbe Ewigkeit in diese grün-blauen Augen starrt. Schnell sieht er zur Seite. „Majhera, warum nicht? Besser als gar nichts.“

"Hauptsächlich mache ich das dann, wenn ich einen passenden Balken sehe," antwortet sie lachend auf Keresins Frage auf die Klimmzüge. Dann fügt sie etwas ernster hinzu: "Es ist immer gut, wenn man es schafft, irgendwo raufzuklettern. Da ist man geschützt, hat meist ein verfrellt geiles Schussfeld - und, nicht zuletzt, wenn man mal abhauen muss, gibt es weit weniger Leute, die gut klettern können als schnell rennen. Aber auch klettern will trainiert sein. Und ein bisschen Kraft in den Armen und Schultern ist für das Bogenschießen auch nicht schlecht."

Sie wartet nicht auf eine weitere Antwort. Auch ist es nicht zu erkennen, ob sie von dem doch auffallend langen Blickkontakt der beiden überhaupt sonderlich Notiz nimmt. Entweder versteht sie es, ein verführerisches Spiel mit einem Mann weit mehr zu kaschieren als zum Beispiel Ira, oder aber sie hat noch nicht gelernt, ihre sicherlich vorhandenen Vorzüge gekonnt einzusetzen. Jedenfalls rennt sie also los, zu dem Baum. Nun ist Sundara nicht sonderlich groß, der Apfelbaum dafür umso größer. Einer Katze gleich erklimmt sie die unteren Äste, pflückt vier Äpfel, zwei für jede Hand, springt von dem Ast und kommt wieder zu Keresin zurück. Sie reicht Keresin zwei der Früchte.

"Ich sag dir ganz ehrlich, für mich ist der Wirt soundso komplett gaga," sagt sie dann, setzt sich neben Keresin und beißt in den Apfel. "Also, auf das, was der uns verklickert hat, gib ich nicht viel. Aber du hast schon recht. Ich habe zwar während meiner Wache nichts, aber schon gar nichts bemerkt, vor dem man sich in Acht nehmen sollte und frage mich deshalb, ob und warum uns der Wirt unbedingt in diesem Haus hier haben wollte. Aber wir müssen vorsichtig bleiben, klar. Wenn ich auch nicht übel Lust hätte, diese Gefahren der Dunkelheit kennenzulernen. Aber vor allem will ich wieder zurück. Die Scheiß-Sragon endgültig zu Yorom schicken. Und dann irgendwo ganz in Frieden leben, irgendwas zu arbeiten, wofür man respektiert wird und jeden Tag was Ordentliches zwischen die Zähne bekommt."

„Wenn ihr meint.“: erwidert Keresin immer noch schmunzelnd auf Sundaras Erklärung. „Laßt euch nicht stören, wenn ihr weiter trainieren wollt, ich sehe euch gern zu.“ Aber da läuft die Elurierin auch schon los und klettert mühe los auf den Baum. Keresin leht sicht auf die Brüstung der Veranda und sieht ihr dabei zu. Es war in der Tat das erste Mal, daß ihm eine Frau sein Frühstück direkt von einem Baum herunter pflückt. Doch im gleichen Atmezug gesteht er sich ein, daß es bei weitem Schlimmeres gibt, als sich so versorgen zu lassen. Danken nimmt er die beiden Früchte entgegen die ihm Sundara reicht. Er setzt sich auf die Verandabrüstung und beißt in einen der Äpfel. Kauend hört er der Elurierin zu, die sich neben ihn gesetzt hat. Schließlich wirft er das abgenagte Kerngehäuse hinaus in den Garten.
„Verrückt? Ich weiß nicht. Wenn es nicht um die Stadt geht, dann redet er recht vernünftig. Allerdings da ist wieder dieses völlige Desinteresse an Neuigkeit und woher wir kommen. Seltsam ist er auf jeden Fall.“
Keresin beißt in seinen zweiten Apfel. „Ob er uns wirklich in diesem Haus haben wollte? Ehrlich gesagt ganz sicher bin ich mir da nicht. Aber auszuschließen ist es auch nicht. Seine Warnungen waren zwar wirr, aber ich habe das Gefühl, daß sie keine Erfindungen sind. Er hat Angst vor dem was sich in der Nacht verbirgt, das wurde schon recht deutlich. Wir sollten mit der Schmiedin reden und den anderen Bewohnern der Stadt. Mit der Schmiedin allein schon der Waffen wegen für Ira und mich. Danach schlage ich vor uns das Haus vorzunehmen. Wenn es einen Grund geben sollte warum wir hier sein sollen, dann finden wir den vielleicht. “
Keresin wirft die letzten Reste des abgenagten Apfels hinter sich und sieht Sundara an. „Bevor wir nicht eine ungefähre Ahnung haben, was uns da im Finsteren begegnen könnte, halte ich jede aktive Suche nach Konfrontation unsererseits für unverantwortlich, so als würde man in ein finsteres Loch springen und einfach darauf vertrauen, daß es nicht zu tief sein wird, um sich nicht den Hals zu brechen. Ihr könnt das natürlich halten wie ihr wollt, ich will euch keine Vorschriften machen.“ Der Anflug eines Lächelns zeigt sich auf seinem Gesicht, als Sundara von Rückkehr spricht. „Zurück! Natürlich will ich zurück und mich unseren Truppen anschließen. Vorovis zu befreien, meine Familie, meine Kameraden, meine Landsleute zu rächen, selbst wenn es nur bei dem Versuch bleibt ist es wert dafür zu fallen! Gar nicht davon zu reden Vorovis wieder aufzubauen, es stärker, mächtiger und besser zu machen als es war…..“ Keresin unterbricht sich und damit erlischt auch das Feuer seiner Begeisterung. „Die Frage ist nur können wir zurück?“

Sundara hat sich ebenso auf das Geländer der Veranda geschwungen und sitzt also neben Keresin. Würde er den Arm ausstrecken, wäre es ihm ein leichtes, ihre Schultern zu umfassen. Auch Sundara isst nun ihren ersten Apfel zu Ende. Das Kerngehäuse landet neben dem des Vorovisen. Dann sieht sie ihn an, ernst, doch überaus ruhig.

"Es geht hier doch nicht um Vorschriften," meint sie dann. "Niemand von uns kann hier irgendwem Vorschriften machen. Aber ich glaube, wir sollten zusammenhalten und Alleingänge möglichst unterlassen. Wenn du also sagst, es ist dir zu gefährlich, dann lassen wir es. Irgendwann werden wir schon herausfinden, was diese Gefahren der Nacht sind. Und was den Wirt betrifft... hattest du nicht auch den Eindruck, als würde, wenn es auf die Stadt kommt, nicht mehr er sprechen, sondern irgendetwas, das sich in seinem Kopf eingenistet hat? Er wird dann so steif, so emotionslos, wie irgendeine Hülle. Aber vielleicht bilde ich mir da wirklich etwas ein."

Sie springt nun direkt von der Brüstung auf den Balken, dieses Mal mit der linken Hand, schwingt zwei Mal hin und her, dann macht sie erneut einige Klimmzüge. Es sind gefühlt ein paar weniger als zuvor, doch wieder scheinbar mühelos und auch recht schnell ausgeführt. Der Blick auf Sundaras Bauch entfällt dieses Mal, sieht Keresin sie doch nur von hinten. Ob es ihm gefällt? Das mag er wohl viel besser entscheiden als irgendein Schreiberling. Danach lässt sie jedenfalls los und landet auf dem Dielenboden.

"Diese Waffenschmiedin würde ich übrigens aufsuchen, kaum dass Ira wach ist," sagt sie dann, nachdem sie sich zu Keresin umgedreht hat. "Ich brauche unbedingt ein paar Pfeile, oder wenigstens Pfeilspitzen. Ich habe nur mehr drei richtige Pfeile, und den einen, unbefiederten. Und ein gutes Messer würde ich auch benötigen, sonst kann ich mir keine Pfeile selbst machen. Glaubst du, bei der Waffenschmiedin kriegen wir auch das 'Geschenk für Neuankömmlinge'?"

Sie lacht bei ihrem letzten Satz. Und mit einem ebensolchem sitzt sie auch schon wieder neben Keresin auf dem Geländer.