Forum Übersicht - Abgeschlossene Spielzüge » Schönheit und Tod

Keresin hat keine Eile als er den Weg zurück zur breiten Hauptstraße geht. Es geht ihm zwar gegen den Strich das er für den Frieden mit Ira hart an die Grenze des Rechtsbruches gegangen ist, aber er bereut es nicht. Er hatte vorovisianisches Blut vergossen als er auf Seite der Reichstreuen den Putschversuch niedergeschlagen hatte. „Nie wieder!“: hatte er sich geschworen, wenn es nicht ums nackte Überleben ging. Was auch immer im hübschen Kopf Iras vorgehen mag, sie ist Vorovisanerin und das zählt. Außerdem weiß er jetzt mit einiger Sicherheit, daß er sich im Fall des Falles auf sie verlassen kann. Wieder kommt das Bedauern über den Graben hoch, den sie mit ihrer Meuterei zwischen ihn und sich gezogen hat. Doch er schiebt es beiseite. Was geschehen ist, ist geschehen. Der Duft der Blüte steigt ihm in die Nase. Er wirft einen Blick darauf und stellt fest, daß sie in dieser kurzen Zeit fast verwelkt ist, aber sie duftet intensiver als zuvor, so als wolle sie vor ihrem Ende alles an Leben, daß ihr noch geblieben ist, in einem kurzen Rausch verströmen. Auf eine seltsame Art betroffen bleibt er stehen und betrachtet die verwelkende Blüte, die er vom Zweig gebrochen hatte. Schönheit und Tod, wie nahe liegen sie doch beeinander! Mit einem Male stürmen Gedanken auf ihn ein, die er seit dem vermeintlichen Ende Vorovis zur Seite gedrängt hat. Mit ein paar Schritten ist bei einer steinernen Bank an einem Hauseingang und setzt sich. Während sich Wirbelsturm in seinem Kopf entfaltet, betrachtet er die verwelkende Blüte bis ihr Duft endgültig verströmt hat. Dann legt er sie in einer sanften Geste neben sich auf den blanken Stein und öffnet sich den drängenden Fragen und Gedanken.

Nein, er hat sich nicht geirrt, die Steinplatte auf der er sitzt vibriert tatsächlich leicht. Verblüfft sitzt er da und sein überraschter Gesichtsausdruck ist weit davon entfernt geistreich zu wirken. Aber er fängt sich schnell. Er läßt sich von der Bank gleiten und geht in die Hocke. Nichts ist zu sehen, als die Steinmauer des Hauses in der die Bank verankert ist und das Pflaster der Straße. Er legt die Handflächen auf das Pflaster unter der Steinbank und konzentriert sich. Doch schon nach ein paar Augenblicken erhebt er sich wieder. Er ist sich sicher nichts gespürt zu haben. Dann legt er die Hände auf die Hausmauer und hier ist er sich nicht sicher. Doch er beschließt der Sache auf den Grund zu gehen, denn eine Ursache mußte die Vibration haben. Mit ein paar Schritten ist er bei den Stufen die hinauf zur Eingangstüre führen.

Schon beim Eintreten fällt Keresin die ungewöhnliche Sauberkeit auf. Selbst das Haus in dem er übernachtet hatte das angeblich erst seit Kurzem leer stand war deutlich staubiger gewesen. Als er dann von kleinen Vorraum aus Tisch und Sessel bemerkt, bleibt er stehen. Laut und deutlich ruft er: „Ist jemand zu Hause?“ Er wartet eine kleine Weile bevor er noch einmal ruft. Als alles still bleibt betritt Keresin die Küche. Auf den ersten Blick sieht er das der gemauerte Kamin schon seit geraumer Zeit nicht mehr benutzt wurde, aber auf der Tischplatte sind deutlich ein paar Ringe zu erkennen, wie sie Weinflaschen, Krüge oder Becher auf Holz hinterlassen. Jemand mußte an diesem Tisch gesessen haben und das konnte nicht allzu lange her sein. Er sieht sich noch kurz um, kann jedoch nichts weiter entdecken. Schließlich geht er zu der verschlossenen Türe mit dem Griff aus Metall. Für einen Moment zögert Keresin, dann versucht er die Türe zu öffnen.

Er sieht nur den Blitz und dann verschlingt ihn die Schwärze. Er spürt nicht mehr, daß er davon geschleudert wird und hart auf dem Boden aufschlägt. Sein erster bewußter Gedanke ist sich auf den Eisfeldern eingefunden zu haben. Doch da ist der Schmerz in seinem Körper. Tote haben keinen Schmerzen. Aber er kann sich nicht rühren, treibt in einem lichtlosen Meer, aus dem immer wieder düstere Farbflecken aufsteigen und das Atmen fällt ihm schwer. Panik steigt in ihm hoch. Doch er kämpft dagegen an, denn er weiß das Panik tötet. Langsam bekommt er sich wieder in Griff, doch das Atmen ist mühsam, jeder Atemzug eine Willensanstrengung. Eine Zeit lang hilft ihm die Konzentration auf seinen Atem, doch die trostlose Unendlichkeit in der er gefangen ist, setzt ihm mehr und mehr zu. Ewigkeiten vergehen bewegungslos in namenlosen Schrecken und nie zuvor hat Keresin sich so hilflos und verlassen gefühlt. Selbst als er am Rande des 'Todes nach einer schweren Verwundung in einem Lazarett wochenlang dahingedämmert hatte, waren da Bewegung, Laute, Stimmen, Berührungen und Licht gewesen. Hier ist nichts, nur sein keuchender Atem, der Schmerz und die Schwärze. Er kämpft gegen den Schrecken an aber er spürt das er an den Rand des Abgund gezogen wird in dem Wahn und Chaos lauern. Als sich endlich seine Augen einen Spalt öffnen und der Vorhang der Schwärze zerreißt laufen ihm Tränen der Dankbarkeit übers Gesicht.

Nein, er will den langen Weg ohne Rückkehr nicht beschreiten! Er hatte dem Herrn der Eisfelder zu oft in die Augen geblickt, um auch nur die geringste Sehnsucht nach seiner Kälte zu verspüren. Trotzdem berührten ihn die Worte des Mannes nicht wirklich. Schmerz ist nur noch nicht ausgemerzte Schwäche! Wenn du nicht gehen kannst, dann krieche! Immer wieder hatte man ihm während der Ausbildung diese Worte eingehämmert und so beginnt Keresin zu kriechen, Atemzug um Atemzug. Immer schwerer ringt er mit dem Atem, doch er zwingt sich, Atemzug um Atemzug. Keresin ist kein religiöser Mann doch während seines verzweifelten Kampfes um Luft betet er stumm. Nicht zu Hostinos dem Göttervater, nein, er betet zu Phalos, dem die Krieger ihr Schicksal anvertrauen wenn sie in die Schlacht ziehen, um Kraft und Stärke.

Irgendwann hört Keresin schnelle Schritte und eine bekannte Stimme faucht: „Wie kann so etwas geschehen, ihr elenden Bajingan?“ Die Männerstimme antwortet erklärend: „Standardprotokoll Zugangssicherung, werte Ishikawa Erji….“ Misakis Stimme unterbricht den Mann zornig. „Nennt mich nicht so. Hier bin ich Misaki, ganz einfach Misaki! Verstanden?“ Ein Schatten fällt über Keresin, dann schimmert es für ein paar Augenblicke grünlich auf. Misaki seufzt erleichtert, dann kann Keresin ihre Stimme an seinem Ohr hören. „Ihr werdet es überstehen, Legat. Ich gebe euch etwas, daß die Schmerzen vertreibt und die Lähmung löst. Ihr werdet gleich wieder normal atmen können, aber schnell wieder das Bewußtsein verlieren.“ Ein leises Zischen ertönt und Keresin kann von seinem linken Arm ausgehend Wärme fühlen, die sich wie eine Welle in seinem Körper ausbreitet, die Schmerzen mit sich nimmt und dann fühlt er die Lähmung weichen und seine Lunge füllt sich mühelos mit Luft. Bevor er sich aber zu Misaki umdrehen kann hüllt ihn Schwärze ein und zieht ihn hinab. Misaki erhebt sich. „Bringt ihn zu mir und dann tragt dafür Sorge daß alles hier wieder so hergerichtet wird, wie es sich gehört. Der Erste Hüter wird von mir hören, bald, sehr bald.“